Eine Kritik zu E.T.A Hoffmanns Schauerroman "Der Sandmann"
Die schwarze Romantik spiegelt die Angst der Mechanisierung
Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann wurde am 24.01.1776 in Königsberg geboren und starb am 25.06.1822. Im Jahr 1805 liess er sich zu Ernst Theodor Amadeus (E.T.A.), zur Bewunderung von Wolfgang Amadeus Mozart, umbenennen. Hauptsächlich war er Schriftsteller, er wirkte aber auch als Jurist, Komponist, Kapellmeister, Musikkritiker, Zeichner und Karikaturist. Er schrieb allerlei Erzählungen, darunter den Schauerroman „Der Sandmann“, welcher erstmals 1816 veröffentlicht wurde. Die Version des Online-Werkes aus der z Library beinhaltet 26 Seiten, aber keine Kapitel. Die Geschichte teilt sich in zwei kürzere und einen langen Brief, welche wiederum in kleine Abschnitte geschrieben wurden.
Geschildert wird das Schicksal des jungen Studenten und Dichters Nathanaels, der unter dem Einfluss traumatischer Kindheitserinnerungen verrückt wird. Er wird Opfer dunkler Mächte, die ihn am Ende sogar in den Selbstmord treiben. Ungeklärt bleibt, inwieweit er dabei Hingabe einer Intrige wurde oder einzig seinen eigenen Wahnvorstellungen erlegen war. Hoffmann gibt mit seinen möglichst genauen Beschreibungen dem Leser einen Einblick in Nathanaels Leben, Gefühle und Gedanken, welche von ständiger Angst geprägt werden. Dies regt zum Nachdenken an.
Ursprünglich ohne bestimmte Autorenangabe erschienen in der Sammlung „Nachtstücke“, erfreut sich die Geschichte bis heute grosser Bekanntheit und bietet Stoff für verschiedenste Interpretationsansätze.
Hoffmann zeigt in seinem Roman mehrere Ansätze seines realen Lebens, da ihm das Schreiben auch als Entkommen der Wirklichkeit dient. Seine wahnsinnige und ordnungsfanatische Mutter und sein verhasster Onkel zwingen ihn zur Flucht in die Fantasie seiner Schreibwelt, was zu Grotesken und Karikaturen in seinen Erzählungen führt.
Er pflegt auch nach seiner Hochzeit etliche Affären. Dies bettet er auch in die Geschichte als Vorbilder seiner weiblichen Charaktere ein.
E.T.A Hoffmann thematisiert in „Der Sandmann“ hauptsächlich den Widerstreit von Vernunft, Fantasie, Rationalität und Imagination. Auch andere Themen, die damit in Verbindung stehen, werden dabei angesprochen und verarbeitet. Das Augenmotiv zeigt, dass der Sandmann im weitesten Sinne die Seelen der Kinder verdirbt, da ihre Augen diese widerspiegeln und er ihnen Sand hinein streut. Nathanael kann aufgrund dessen und des Perspektivs nicht mehr wirklich rational denken, verwechselt Mensch und Maschine und wird daraus wahnsinnig. Auch das Feuermotiv kommt etliche Male während der Erzählung vor. Das Feuer steht immer am Anfang einer Veränderung, darunter die Explosion und der Hausbrand. Feuer und Hitze bedeuten hier zunehmenden Wahnsinn. Der Höhepunkt zeichnet sich durch Nathanaels letzten Worte „Feuerkreis – Feuerkreis“ auf dem Ratsturm aus. Nebenbei zeigt der Schriftsteller die Stellung der Frauen. Die Männer wünschen sich von ihren Frauen, dass sie schief singen, taktlos tanzen und tiefsinnigere Konversationen führen können, um sicher zu sein, dass es sich nicht um eine perfekte Maschine oder Puppe handelt.
Dem Schriftsteller gelingt es einzelne Figuren einander gegenüber zu stellen oder zu verbinden. Nathanael beispielsweise wird immer mehr seinen Vorstellungen und Gefühlen ausgeliefert, während seine Verlobte Clara eine rationale Denkweise pflegt, lebenslustig ist und Mühe damit hat, seine Träumereien ernst zu nehmen.
Dabei wünscht sich Nathanael immer mehr jemanden an seiner Seite zu haben, der sich nur ihm widmet, ihm ruhig zuhört und ihn gewiss versteht. Die Puppe stellt sich als perfekte Zuhörerin heraus und zeigt sich so auch als Gegensatz zu Clara. Verständlicherweise herrschen da aber Unterschiede von Mensch und Maschine. Sein Verlangen nach Olimpia veranschaulicht nicht nur den Widerstreit von Vernunft und Rationalität, sondern auch das Verlangen nach dem Ungreifbarem und das Verändern und Zurückziehen, wenn man sich nicht akzeptiert und verstanden fühlt.
Genau wie Nathanael, fühlte ich mich auch in gewissen Situationen falsch verstanden und konnte mich nicht richtig ausdrücken, da zu viel in meinem Kopf vor sich ging. Sicherlich befand ich mich aber auch schon in der gegensätzlichen Lage, wobei ich mich nicht gut genug in jemanden anderes hineinversetzen konnte und ihn somit nicht richtig verstand.
Trotz der älteren Schreib- und Ausdruckweise arbeitete Hoffmann mit äusserst guten Beschreibungen, was das Werk automatisch realer und gut vorstellbar wirken lässt. Claras Brief beinhaltet einen wichtigen Punkt in Bezug auf die Geschichte, zieht sich aber in die Länge und kommt einem nach einer gewissen Zeit langweilig vor, weil sie über mehrere Abschnitte mehr oder weniger das Gleiche zu sagen hat. Ansonsten aber bleibt „Der Sandmann“ im Grossen und Ganzen packend. Steigert man sich in die Geschichte hinein, kann man in verschiedensten Situationen Zorn, Trauer, Furcht, Überraschung und Abscheu mitfühlen.
Der Sandmann ist eine Erzählung in der Tradition des Kunstmärchens der Schwarzen Romantik und spiegelt die Angst dieser Zeit vor der Rationalisierung und Mechanisierung des Menschen wider. Wichtige Merkmale dieser Romantik waren Weltflucht, die Freiheit des Individuums sowie die Vorliebe für das Dunkle, Rätselhafte und Mythische.
Mit Ausdauer und Offenheit für Hoffmanns Schreibweise und psychologische Aspekte, beschert das Lesen des Werks Vergnügen. Das Werk impliziert jedoch wiederholte schauerliche Ausdrücke und Erklärungen. Wirft man einen kritischen Blick auf die behandelten Themen, kann das Buch angesichts der bedeutsamen Interpretationsansätze schnell herausfordernd sein.
Das Buch ist sehr empfehlenswert für die Menschen, die eine Vorliebe für das Dunkle, Rätselhafte und Mythische mit sich bringen. Da das Werk hauptsächlich in der schwarzen Romantik eine grosse Bekanntheit besitzt, ist es bestimmt Vorteilhaft “Der Sandmann” zu kennen.